Etwas verspätet veröffentlichen wir hier den Brief von Michael von der Schulenburg an „Pax Christi“ vom 3. November 2025. Vorbemerkung von Heiko Gottschall (Lokale Assistenz in Deutschland von Michael von der Schulenburg, MEP / https://michael-von-der-schulenburg.com/ )
Vorbemerkung:
Liebe Freunde, Kollegen und Unterstützer von Michael von der Schulenburg,
Der Brief ist gerade jetzt wichtig, da die Kirchen extrem für Kriegsvorbereitungen instrumentalisiert werden. Zuerst haben die katholischen Bischöfe den Wehrdienst abgesegnet und nun ist die EKD
noch einen viel gefährlicheren Schritt gegangen und hat den Besitz von Atombomben gerechtfertigt.
Heiko
Offner Brief an Pax Christi
Die Haltung der katholischen Kirche in Deutschland zu Krieg und Frieden
Mein Name ist Michael von der Schulenburg. Ich bin praktizierender Katholik und habe 34 Jahre für die Vereinten Nationen in Entwicklungs- und Friedensmissionen gearbeitet – meist in führenden Positionen und in Ländern, die sich im Krieg befanden oder durch Kriege direkt oder indirekt in Mitleidenschaft gezogen wurden. Heute bin ich parteiloser Abgeordneter der BSW Gruppe im Europäischen Parlament. Meinen Lebenslauf füge ich bei, da er vielleicht zum Verständnis dessen beitragen kann, was ich hier ausführe.
Einleitend möchte ich darauf hinweisen, dass ich seit 1978 nicht mehr in Deutschland lebe und heute
meinen ersten Wohnsitz in Österreich habe. Damit möchte ich betonen, dass vieles, worüber ich hier
schreibe, auf persönlichen Eindrücken beruht und keiner eingehenden Analyse entspringt. Ich bin
kein Theologe und verfüge über kein theologisches Fachwissen. Dieser offene Brief soll daher nicht
als Anklage oder Schuldzuweisung verstanden werden, sondern als Ausdruck einer inneren Unruhe,
die sich aus meinen langjährigen Erfahrungen mit Krieg und Frieden in vielen Teilen der Welt speist.
Die Worte „Pax Christi“ sind bereits Programm – ein Programm, das Christen dazu verpflichtet, sich
für Verständigung und Frieden einzusetzen. Gerade in dieser Zeit sollte das von größter Bedeutung
sein: einer Zeit, in der der Ukrainekrieg und die Kriege Israels in Gaza, der Westbank, im Libanon und
Syrien – sowie die Kriege mit dem Iran, dem Jemen und Katar – zu unsagbarem menschlichem Leid
und ein uns alle bedrohendes Ausmaß geführt haben.
Die Gefahren dieser Kriege sind heute unkalkulierbar. Zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten
Weltkriegs spielen Nuklearwaffen in diesen Konflikten eine strategische Rolle – bislang noch als
Abschreckung. Aber wo liegt die Grenze zwischen Abschreckung und Einsatz? Vor diesem Hintergrund sollten Berichte über die Modernisierung von Atomwaffen, die rasante Entwicklung neuer Trägersysteme und Pläne für erneute Atomwaffentests uns zutiefst beunruhigen.
Mit dieser Entwicklung riskieren wir die Schöpfung. Wie können wir dazu schweigen?
Auf meinen Reisen besuche ich regelmäßig Messen in Österreich, Deutschland, den Niederlanden
und Belgien. Doch in den letzten Jahren habe ich kein einziges Mal eine Fürbitte für die Kinder in
Gaza gehört – oder für die jungen Ukrainer und Russen, die sich gegenseitig töten. In keiner Predigt
wurden diese Kriege erwähnt, und bei keinem Friedensgruß wurde vor einer Entwicklung gewarnt,
die zur Zerstörung der Menschheit und allen Lebens auf der Erde führen könnte.
Dabei haben sich Papst Franziskus – ebenso wie heute Papst Leo XIV. – unermüdlich um Frieden
bemüht und immer wieder friedliche Lösungen für Konflikte eingefordert. Im Sommer 2022 war ich
unter Führung von Jeff Sachs gemeinsam mit Romano Prodi, Anatol Lieven, Richard Rubenstein und
vielen anderen – darunter mehreren Kardinälen – vom Vatikan eingeladen, wo wir eine mögliche
Friedenslösung für den Ukrainekrieg erarbeitet haben. Als ich versuchte, darüber im Bistum Wien
oder in meiner kleinen Gemeinde in Bisamberg zu berichten, stieß ich auf Ablehnung. Man wollte
sich nicht einmal auf einen Kaffee mit mir treffen. Woher kommt diese Angst, sich mit dem Thema
Krieg auseinanderzusetzen?
In dieses kirchliche Schweigen bricht nun die erschreckende Erklärung der Deutschen
Bischofskonferenz zum Wehrdienst vom 13. Oktober dieses Jahres.
Sie ist im Stil eines juristischen Gutachtens verfasst – vom Geist einer pax christi ist darin nichts zu spüren. Im Gegenteil: Sie liest sichwie eine Rechtfertigung von Kriegsvorbereitungen. Dabei werden die Kriegsnarrative der
Bundesregierung völlig unkritisch übernommen. Eine derart schwarz-weiß Darstellung mit klaren
Schuldzuweisungen mag für eine Regierung, die sich im Konflikt mit Russland befindet, noch
nachvollziehbar sein – für Bischöfe einer weltumspannenden Kirche ist sie es nicht.
Der Wehrdienst – also eine zentrale Frage der Kriegsvorbereitung der Bundesregierung – wird in
dieser Erklärung gerechtfertigt. Dabei wird das Argument einer „sicherheitspolitischen Bedrohung
durch Russland“, also einer unmittelbaren Kriegsgefahr für Deutschland, übernommen. Eine solche
Kriegsgefahr wird jedoch nur von europäischen NATO-Mitgliedern (und insbesondere von der
Bundesregierung) behauptet. In den USA hingegen ist in den jährlich erscheinenden gemeinsamen
„Gefahrenanalysen der US-Geheimdienste“ nie von einer derartigen Bedrohung die Rede. Auch in
den vielen nicht-NATO-Ländern, in denen heute die Mehrheit der Christen lebt, wird eine Gefahr
dass Russland letztlich auch uns angreifen würde, offenbar nicht gesehen. Warum also übernehmen
deutsche Bischöfe diese Sichtweise?
Sollte es überhaupt die Rolle deutscher Bischöfe sein, sich in Kriegen auf eine Seite zu stellen? Ist das
Absegnen der eignen Kriegstüchtigkeit bei gleichzeitiger Verteufelung von Gegnern überhaupt eine
christliche Haltung? Wäre es nicht vielmehr Aufgabe einer christlichen Gemeinschaft, sich auch
gegenüber einem Gegner verständnisvoll und ausgleichend zu öffnen? Sind diplomatische Prinzipien
zur Lösung von Konflikten – wie (i) dem Gegner Respekt zu zollen, (ii) auch seinen Narrativen
zuzuhören und (iii) den Versuch zu unternehmen, seine Positionen zu verstehen – nicht letztlich
Prinzipien, die einer christlichen Kirche besser zu Gesicht stünden als die nun veröffentlichte
bischöfliche Erklärung zum Wehrdienst?
Sollten deutsche Bischöfe im Sinne einer pax christi ihre Energie nicht vielmehr darauf richten,
Gesprächsfäden aufzunehmen und Friedensperspektiven zu entwickeln – so wie wir es bereits im
Sommer 2022, also vier Monate nach Ausbruch des Krieges, an der Päpstlichen Akademie des
Vatikans, der Pontificia Academia Sancti Thomae Aquinatis, getan haben? Diese Akademie wurde
1879 von Papst Leo XIII., dem Namensvorgänger und Vorbild des heutigen Papstes, gegründet.
Könnte die Charta der Vereinten Nationen – ein Dokument, das von allen Päpsten seit dem Zweiten
Weltkrieg unterstützt wurde – nicht auch deutschen Bischöfen helfen, eine christlichere Haltung zur
Frage von Krieg und Frieden einzunehmen?
Vier Gedanken dazu:
1. Die Verpflichtung zu friedlichen Lösungen von Konflikten
Um Kriege zu vermeiden, haben sich alle 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen in der
Charta verpflichtet, ihre Konflikte ausschließlich durch friedliche Mittel – also durch
Verhandlungen, Diplomatie, Vermittlungen oder Schiedsgerichte – zu lösen. Das gilt
selbstverständlich auch für bereits ausgebrochene Kriege, die so schnell wie möglich beendet
werden sollen. Wäre es daher nicht angebracht, wenn deutsche Bischöfe die
Bundesregierung zu Gesprächen und Verhandlungen mit Russland aufforderten, um eine
friedliche Lösung des Ukrainekriegs zu erreichen?
2. Die Abkehr von der Idee gerechter Kriege
Die UN-Charta unterscheidet nicht mehr zwischen gerechten und ungerechten Kriegen. Sie
verpflichtet alle Kriegsparteien gleichermaßen, sich um eine friedliche Lösung zu bemühen.
Denn in allen Kriegen behauptet jede Seite, im Recht zu sein. Deshalb spielen Überlegungen
zur Kriegsschuld bei Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen keine Rolle. Nach der
Charta sind alle Kriege unmoralisch – und doch erkennt die Charta an, dass es in Kriegen
nicht um Moral, sondern um Interessen geht. Eine Friedenslösung bedeutet daher immer
auch einen Interessenausgleich. Schuldzuweisungen, wie sie von deutschen Bischöfen
geäußert werden, sind in diesem Kontext fehl am Platz.
3. Nie wieder Krieg!
Die sicherheitspolitischen Überlegungen in der westlichen Welt werden heute vom Spruch
des römischen Militärschriftstellers Publius Flavius Vegetius Renatus aus dem 4. Jahrhundert
geprägt: „Si vis pacem, para bellum“ – „Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor.“
Doch dieser Spruch geht davon aus, dass der Mensch dem Menschen stets ein Feind ist und
Frieden nur durch Waffen erzwungen werden kann. Das ist ein zutiefst
menschenverachtendes Weltbild – und deutsche Bischöfe sollten sich davon klar
distanzieren.
Die UN-Charta hingegen geht von einem positiven Menschenbild aus: dass der Mensch durch
Vernunft und Vertrauen in der Lage ist, Konflikte friedlich zu lösen – auf eine Weise, die von
allen Seiten akzeptiert werden kann. Ist das nicht eine Haltung, die dem christlichen Glauben
nähersteht?
4. Das Wort als Fundament der Schöpfung
Oft wird kritisiert, die UN-Charta bestehe nur aus Worten – und könne in einer Welt mit fast
drei Billionen Dollar an jährlichen Militärausgaben nichts bewirken. Doch sollte ein solches
Argument nicht gerade Christen aufrütteln? Das Christentum – wie auch Judentum und Islam
– basiert auf dem Wort. Das Johannesevangelium beginnt gar mit den gewichtigen Worten:
„Im Anfang war das Wort.“ Wenn das Wort für die göttliche Schöpfung steht – wie können
wir dann akzeptieren, dass unser Frieden auf von Menschen geschaffenen Waffensystemen
beruht, die alles Leben auf der Erde in wenigen Stunden vernichten könnten? Sollten
religiöse Gemeinschaften nicht die vorrangigen Fürsprecher der UN-Charta sein?
Am 15. November wird pax christi eine Friedenskonferenz in Heidelberg abhalten. Dazu füge ich
meine Schrift „Nie wieder Krieg – die Charta der Vereinten Nationen“ sowie das zugehörige
Begleitschreiben in deutscher und englischer Sprache bei. Die Schrift wurde anlässlich des 80.
Jahrestags der UN-Charta am 24. Oktober 2025 verfasst und kann kostenlos auf meiner Webseite
www.michael-von-der-schulenburg.com heruntergeladen werden.
Der Friede sei mit Euch!
Michael von der Schulenburg
Abgeordneter des Europäischen Parlaments
Ehemaliger Assistant-Secretary-General der Vereinten Nationen
Brüssel, 3. November 2025
