Liane Kilinc, Moskau, 08.02.2025 – 75. Jahrestag – das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR
Liebe Genossinnen und Genossen,
am 8. Februar 1950 wurde in Berlin, Hauptstadt der DDR, das Ministerium für Staatssicherheit gegründet. Wie nötig diese Gründung und wie erfolgreich ihre Arbeit war, lässt sich heute auf eine einfache Weise belegen – ein Blick auf das heutige Deutschland genügt.
Denn wenn man sieht, wie sehr jeder Gedanke an Souveränität aus dem deutschen Leben verschwunden ist, wenn man die blinde Unterwürfigkeit betrachtet, mit der die derzeitige Bundesregierung die Wünsche der Vereinigten Staaten selbst dann erfüllt, wenn das zum gravierenden Nachteil des deutschen Volkes, ja, auch der deutschen Volkswirtschaft wird, stellt man fest, dass selbst in der alten Bundesrepublik mehr unabhängiges Handeln möglich war als heute.
Selbstverständlich muss man sich fragen, warum das so ist. Schließlich waren die Politiker der alten westlichen Republik zu großen Teilen noch weit erpressbarer als heute. Dazu muss man nur die lange Liste alter Nazis in führenden Positionen betrachten, die erst 1981 mit dem Rücktritt des bayrischen Innenministers Seidl endete, der wie der baden-württembergische Ministerpräsident Filbinger noch unter Hitler als Jurist tätig war.
Die Art und Weise, wie US-Dienste Menschen kontrollieren, hat sich im Lauf der Jahrzehnte nicht wesentlich geändert, trotz der erweiterten technischen Möglichkeiten. Aber seit der Annexion der DDR, seit das Ministerium für Staatssicherheit nicht mehr tätig ist, haben sie freie Hand, und es gibt keinerlei Gegengewicht. Das Resultat ist die Ansammlung jener rückgratlosen Gestalten, die heute über das deutsche Schicksal entscheiden.
Es mag euch auf den ersten Blick vielleicht absurd erscheinen, mit der Gegenwart zu argumentieren, um über die Vergangenheit zu sprechen, oder das Lob des Gewesenen aus dem Nichtvorhandensein zu entwickeln – aber wir wollen schließlich Materielles, Belegbares; so sehr man im Handeln darauf angewiesen ist, mit Vermutungen und Hypothesen zu leben, das Ziel ist immer eine handfeste Wahrheit. Und wenn man sagen würde, die Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit habe die Existenz der DDR gesichert und ihre Feinde in die Schranken gewiesen, es habe Terrorakte auf dem Boden der DDR abgewehrt, ihre Grenzen gesichert und die politisch nötige Einsicht in das Denken der Menschen ermöglicht, dann wäre es immer noch ein Kleinreden.
Sogar, wenn man noch hinzufügt, dass die Hauptverwaltung Aufklärung einer der besten Aufklärungsdienste weltweit war, was auch die westliche Konkurrenz eingestand. Sogar, wenn man die herausragenden Fälle erwähnt, wie die Tätigkeit von Topas, Rainer Rupp, im NATO-Hauptquartier, die half, eine der für die ganze Menschheit gefährlichsten Situationen zu entschärfen, als das NATO-Manöver Able Archer in der Sowjetunion die Befürchtung auslöste, es könne sich um einen wirklichen Angriff handeln. Situationen übrigens, durch die heute gewissermaßen blind navigiert werden muss – gerade in Momenten, in denen sich eine Provokation an die andere reiht, wie derzeit in der Ostsee, wäre es selbst im Interesse des Gegners nützlich, wenn es da jemand gäbe, der bewerten kann, welche Gefahr wirklich ist und welche nicht. Da reden wir schon davon, dass eine nicht zu füllende Lücke besteht.
Aber es wäre immer noch ein Kleinreden. Denn es ist fast so, als hätte sich durch das Verschwinden dieses staatlichen Organs des einen deutschen Staates die Vernunft selbst aus der ganzen deutschen Politik verflüchtigt. Auch jener Teil Vernunft, der zuvor sogar in der westlichen Republik existierte. Dazu muss man nur sehen, wie widerspruchslos die Stationierung neuer US-Raketen hingenommen wurde; ein Punkt, an dem sich vor etwas mehr als vierzig Jahren Widerspruch bis tief in die Reihen der CDU/CSU regte, obwohl damals ein Parlamentsbeschluss stattfand und nicht einfach seitens der USA beschlossen wurde.
Vernunft, das ist heute ein entscheidendes Stichwort. Ein heißes Herz, ein kühler Kopf und saubere Hände, das ist der alte Grundsatz Dzierżyńskis, der für die deutsche Staatssicherheit ebenso galt wie für die sowjetische. Die Amerikaner nennen das „intelligence“, Intelligenz, und die Bezeichnung trifft zu, weil Verstand mit Sicherheit nötig ist, aber sie trifft eben nur einen Teil.
Denn die Vernunft, die nötig ist – und an deren Stelle im heutigen Deutschland auf so entsetzliche Weise eine Lücke klafft – die besteht eben nicht nur aus Intelligenz. Sie besteht auch aus einer tief verankerten Menschlichkeit. Der Überzeugung, dass Menschen lernfähig sind, sich entwickeln können, und man dieses Ziel der menschlichen Entwicklung immer im Auge haben sollte.
Das ist in eurer Geschichte aufs vorzüglichste dokumentiert durch die Zusammenarbeit von Feliks Edmundowitsch Dzierżyński und Anton Semjonowitsch Makarenko. Die symbolisch zusammenfasst, worum es eigentlich gehen sollte. Die Möglichkeit für eine menschliche Entwicklung zu schaffen, in der der Mensch dem Menschen kein Wolf ist, sondern ein Freund, und diese Entwicklungsmöglichkeit zu behüten und zu schützen.
Es ist nicht leicht, das in den Auseinandersetzungen des Alltags nicht zu vergessen. Aber das ist die unverzichtbare Voraussetzung für den dritten Teil der Losung Dzierżyńskis, denn sauber bleiben die Hände nur, wenn man nicht die Orientierung verliert. Die DDR war die Front, sichtbar wie unsichtbar.
Ich habe einmal irgendwo gelesen, wie sich ein ehemaliger Chef der CIA darüber beklagte, die Sowjetunion habe Mitarbeiter gefunden, die aus Überzeugung tätig seien, und er habe sich immer an die Korrupten und Erpressbaren halten müssen…
Als Nachgeborener muss man immer versuchen, sich die Bedeutung der Vergangenheit erst zu erschließen. Klar ist – der Kampf gegen den Faschismus hat die DDR ebenso geprägt, wie er euch geprägt hatte. Und die Konsequenz, die aus diesem Kampf zu ziehen ist, führt wieder zurück zu Dzierżyński und Makarenko. Zu dem Gebot, die Menschlichkeit um jeden Preis zu bewahren, aber auch mit aller Entschlossenheit zu verteidigen. Das klingt pathetisch, ist aber die eine Wahrheit, die richtig und falsch voneinander trennt.
Es gibt eine Phase in der bundesdeutschen Geschichte, die vielleicht sichtbar macht, auf welche Weise die Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit auf das ganze Deutschland wirkte, nicht nur auf die DDR. Das war das Braunbuch Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik. Dieses Buch erschien 1965, herausgegeben von Albert Norden, und es beruhte auf den Ermittlungsarbeiten des Ministeriums für Staatssicherheit, und sicher waren auch eure Akten an der Entstehung mit beteiligt. Auch hier kann man sich die Wirksamkeit vom Feind bestätigen lassen – zum 50. Jahrestag der Veröffentlichung 2015 schrieb der Deutschlandfunk: „Mit seiner Braunbuch-Kampagne hat Norden einen nicht unerheblichen Beitrag geleistet, dass die Aufarbeitungsdebatte in der Bundesrepublik in Gang kam.“Norden, das Ministerium für Staatssicherheit und eure sowjetischen Genossen.
Genauso übrigens wie beim Auschwitz-Prozess, der von 1963 bis 1965 in Frankfurt stattfand, und der auch nur mit Akten möglich war, die dem Staatsanwalt Fritz Bauer aus der DDR geliefert wurden.
Diese beiden Bausteine machten es möglich, das Schweigen der Adenauer-Jahre zu durchbrechen und die Kontinuität, mit der seit 1951 in der westlichen Republik die gleichen alten Nazis weitermachen konnten, wenigstens so weit anzukratzen, dass sich die Bundesrepublik dem Zustand einer normalen bürgerlich-demokratischen Republik zumindest annäherte.
Was erklärt, warum das, was nach 1989 geschah, ein ungebremster Rücksturz in die Adenauer-Zeit zu sein schien, mit ihrem rasenden Antikommunismus und ihrer geheimen Zuneigung zum Faschismus. Die heutige Nähe zu Kiewer Nazis, ja, der deutsche Anteil daran, sie überhaupt erst aufzupäppeln und an die Macht zu bringen, hat da seine Wurzeln. Oder eben anders herum – unter den wachsamen Augen des Ministeriums für Staatssicherheit konnte die Bonner Republik niemals so weit gehen, wie es die Berliner seit 1990 kann.
In Deutschland reichen die Folgen bis in die untersten Ebenen des politischen Alltags. Viele langjährig Aktive halten es inzwischen für unmöglich, überhaupt eine politische Bewegung zu organisieren, weil jeder Versuch sofort infiltriert und zerstört wird. Das abschreckendste Beispiel dafür ist die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, eine Organisation, die früher einmal von Kommunisten geprägt war, die in den KZs gesessen hatten, und heute zutiefst antikommunistisch wurde und gemeinsam mit ukrainischen Nazis gegen Russland demonstriert.
Alles, was dem Ministerium für Staatssicherheit in der herrschenden Meinung in der BRD fälschlicherweise vorgeworfen wird, geschieht im heutigen Deutschland. In einer Tiefe, die Demokratie selbst im bürgerlichen Sinne unmöglich macht, weil sich eine politische Absicht immer erst bilden können muss, in Begegnung und Organisation, ehe sie überhaupt gesellschaftlich wirken kann. Bestrebungen in diese Richtung gab es auch in den Jahren bis 89, aber sie wurden eben im Schach gehalten. Inzwischen hat die Steuerung durch die eigenen, westdeutschen Dienste und darüber die Amerikaner eine Durchdringungstiefe erreicht, die das echte politische Leben fast völlig abgetötet hat. Ein Zustand, der zwar völlig anders aussieht, aber in seinen politischen und geistigen Folgen nur mit der Zeit der Nazidiktatur verglichen werden kann.
Was für uns heißt, uns wieder zu jenem Ausgangspunkt zurückzubewegen, der noch vor der Gründung des Ministeriums für Staatssicherheit liegt, die ja nur erfolgen konnte, weil die Rote Armee als bewaffnete Macht die Entstehung des Staates DDR möglich machte, und weil bereits zuvor klar war, auf welchen Grundsätzen dieser Staat beruhen sollte. Der Ausgangspunkt mitten in Krieg und Exil, als das Nationalkomittee Freies Deutschland die Grundlagen für den antifaschistisch-demokratischen Wiederaufbau legte, nicht nur durch das Bündnis, das in ihm Gestalt annahm, sondern auch durch die politische Arbeit mit den deutschen Kriegsgefangenen. Eine Arbeit übrigens, die die Vorlage dafür liefert, wie eine vom Faschismus verheerte Nation wieder auf den Pfad der Menschlichkeit zurück gebracht werden kann; eine Frage, die heute leider wieder so aktuell ist, wie sie es damals war.
So ist es heute schmerzlich, auf diesen Moment vor 75 Jahren zurückzublicken, weil es sich anfühlt, als wären wir weit dahinter zurückgefallen. Aber man sollte ein anderes Fazit ziehen: denn auch, wenn die Probleme heute wie Wiedergänger bereits besiegter Feinde wirken, der Weg, den wir einschlagen müssen, ist bereits bekannt. Wir müssen den Pfad nicht neu bahnen, wir müssen nur das Gestrüpp entfernen, das ihn überwuchert hat.
Halten wir also die Genossen von damals und ihre Arbeit in Ehren, lernen wir aus ihren Siegen wie aus ihren Niederlagen, und arbeiten wir weiter, wie es sein muss:
Mit heißem Herzen, kühlem Kopf und sauberen Händen.
